Inhaltsangabe
Jeder Deutsche, der eine Reise nach Istabul unternimmt, ist zunächst irritiert: Alle gängigen Klischees über Türken verfangen hier nicht. In Istanbul sind alle Religionen und ethnischen Gruppen präsent, es gibt moderne Zonen der Freizügigkeit und Viertel der religiösen Dominanz, zwischen denen Welten liegen. Wie bringt man diese krassen Gegensätze zusammen? Jürgen Gottschlich, der seit mehr als zehn Jahren als Korrespondent in der Türkei lebt, weckt mit vielen Fakten und Hintergrundinformationen Verständnis für diese enorme Diversität, die dem Land eigen ist. Während der Osten rückständig, arm, traditonell und dünn besiedelt ist, steht der Westen des Landes in puncto Modernität und Wohlstand weit über dem Niveau des Balkans. Um den heutigen Kulturkampf zwischen Frommen und Säkularen, islamischen und laizistischen Parteien durchschaubar zu machen, ist ein Blick in die Geschichte der Türkei unerlässlich. Dabei nimmt Gottschlich besonders die Zeit seit Gründung der Republik 1923 in den Blick, die mit einer beispiellosen Kulturrevolution einherging. Die innere Stabilität der Türkei ist nicht nur durch den Machtkampf zwischen Kemalisten und der regierenden islamischen AKP gefährdet. Die Debatte um die EU-Mitgliedschaft führt zunehmend zu Verbitterung. Die Türken fühlen sich verletzt, weil ihre Werte nicht als kompatibel angesehen werden. Der Autor beleuchtet neben dem politischen System auch die wirtschaftliche Entwicklung, die sich mit Wachstumsraten von ca. sieben Prozent und zunehmenden Auslandsinvestitionen sehr dynamisch gestaltet. Etwa 50.000 Deutsche leben mittlerweile in der Türkei, doch vielen bleiben Mentalität und Alltagsgepflogenheiten fremd. Das Land ist das krasse Gegenteil einer formierten, übersichtlichen und durchstrukturierten Gesellschaft. Eine Mischung aus Flexibilität und Paternalismus bildet die Grundlage für die Organisation des türkischen Alltags. Im Gegensatz zu Deutschland sind die sozialen Strukturen dichter, der Türke ist praktisch immer von sozialen Netzen umgeben, in denen der Familie die wichtigste Rolle zukommt. Welche Probleme das tägliche Leben in der Türkei bestimmen, wie Famiie, Schule, Freizeit und Kultur funktionieren, welche Rolle die Frauen in der Gesellschaft haben, all das schildert der Autor kenntnisreich und pointiert und korrigiert damit das klischeehafte Bild, das viele Deutsche bis heute von der Türkei haben.
Über die Autorin bzw. den Autor
Jürgen Gottschlich: Jahrgang 1954, Studium der Philosophie und Publizistik in Berlin, 1979 Mitbegründer der taz, bis 1993 dort als Journalist tätig, zuletzt als stv. Chefredakteur, ab 1980 regelmäßige Reportagereisen in die Türkei, 1994 stv. Chefredakteur der Wochenpost, seit 1998 Korrespondent für verschiedene Zeitungen in Istanbul.
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